Die Grundlagen
Zuallererst ist eine Funktionale Methode eine Sichtweise.
Gesangsunterricht hat in aller Regel den Fokus auf dem erwünschten Ziel, eine "schöne" Stimme. Auch wenn es sehr viele Herangehensweisen gibt, wie diese "schöne" Stimme erreicht werden soll, so liegt dem doch fast immer ein Klangideal zu Grunde, das es zu erreichen gilt.
Eine Funktionale Pädagogik wählt hier einen völlig anderen Zugang:
Alles Singen, alles Sprechen beruht auf biologischen Funktionen.
Je mehr wir in Übereinstimmung mit diesen Funktionen sind, umso müheloser, effektiver und leistungsfähiger ist unsere Stimme.
Klang, Tonhöhe, Lautstärke, Tragfähigkeit und emotionale Vielfalt sind die hörbaren Erscheinungen physiologischer Prozesse.
Im Funktionalen Stimmtraining konzentrieren wir uns auf diese Prozesse.
Seit etwa den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstehen weltweit effektive wissenschaftliche Methoden zur Erforschung der Stimmfunktion.
Durch ein immer tiefer werdendes Verständnis der Stimme als Resultat evolutionärer, physiologischer, emotionaler und sozialer Faktoren entwickelten in den siebziger und achziger Jahren Eugen Rabine und ein Team begeisterter Sängerinnen und Sänger in Zusammenarbeit mit Stimmforschern eine spezifische Pädagogik der Stimme, die auf diesem Verständnis aufbaut.
In diesem Rahmen wurden auch viele verschiedene Körperarbeitsmethoden auf ihre Effektivität und Anwendbarkeit im Stimmtraining untersucht.
Vor allem die Körperarbeit nach Moshe Feldenkrais hat sich als besonders wirksam erwiesen.
Ihre Methodik hat wesentlichen Einfluss auf die Funktionale Stimmpädagogik genommen.
Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es am "Rabine Institut für funktionale Stimmpädagogik" eine systematische, vierjährige Ausbildung für Gesangslehrer und Stimmtrainer, in der das Wissen und die Erfahrungen dieser Forschung- und Entwicklungsarbeit gelehrt und weiterentwickelt wird.
Wer diese staatlich anerkannte Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat (in meinem Fall 1995), ist "Rabine Lehrer für Funktionale Stimmpädagogik" (CRT - Certified Rabine Teacher).
Basis jeder Funktionalen Pädagogik ist das Verständnis, dass alle am Singen beteiligten Organe und Prozesse - also vor allem Kehlkopf, Atmung und Vokaltrakt - andere primäre biologische Funktionen haben, also von der Evolution nicht ursprünglich für die Stimmgebung entwickelt wurden.
So ist der Kehlkopf physiologisch eine Doppelventil, dessen grundlegende Funktion das Verschließen der Atemwege in beide Richtungen, also nach außen zum Mund und nach innen zur Lunge ist.
Das Schwingen der Stimmlippen, also die Phonation, ist eine sekundäre, in der Evolution erst später entwickelte Funktion.
Diese sekundäre Funktion ist neurologisch immer der primären, ursprünglichen Aufgabe untergeordnet, kann sich also nur soweit entfalten, wie die Aktivierung der primären Funktion das zuläßt.
Für die Praxis heißt das:
Verstehen wir die primäre Funktion der beteiligten Prozesse, können wir sie so beeinflussen, dass die sekundäre Funktion, also das Singen, größtmögliche Freiheit erhält.
Nahezu alle Beeinträchtigungen und "Fehler" der Stimme beruhen auf einer ungünstigen Aktivierung der biologisch primären Funktion von Körperhaltung, Atmung, Kehlkopf und Vokaltrakt.
In der Folge sind wir gezwungen, kompensatorische Muskulatur einzusetzen, was die Stimme angestrengt und weniger leistungsfähig macht. Unsichere Intonation, fehlende Tragfähigkeit, schwacher oder harter Klang und eingeschränkter Stimmumfang haben nahezu immer hier ihren Ursprung
In der Funktionalen Pädagogik entlasten wir die Stimme von diesen kompensatorischen Aktivitäten, indem wir mit Hilfe von spezifischen körperlichen und mentalen Übungen die primären Funktionen des Körpers so ausrichten, dass sie der Stimme alle Freiheit ermöglichen und sie in ihrer Funktion optimal unterstützen.
Jetzt können wir das Zusammenwirken von Atmung, Stimmlippen und Vokaltrakt in Kenntnis ihrer gesunden Funktion sehr gezielt entwickeln und trainieren.
Das führt zu einer Stimme, die frei und mühelos schwingt und von uns und unseren Zuhörern als authentisch und emotional erlebt wird.
Ganz nebenbei erleben wir, dass sich die Leistungsfähigkeit unserer Stimme immer weiter entfaltet, viel mehr, als wir das normalerweise für möglich halten.
Lautstärke, Intonation und emotionaler Klang werden selbstverständlich.
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